Die EU-Richtlinie RL 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, die sogenannte „Arbeitszeitrichtlinie“ regelt die wöchentliche Höchstarbeitszeit, die tägliche und wöchentliche Mindestruhezeit, den Mindestjahresurlaub sowie die Ruhepausen. Eine EU-Richtlinie muss von den einzelnen Nationalstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
In Deutschland ist die Arbeitszeitrichtlinie für zivilrechtliche Arbeitsverhältnisse in der Privatwirtschaft sowie im öffentlichen Dienst durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) umgesetzt. Für Beamtinnen und Beamte des Bundes erfolgte die Umsetzung durch die Arbeitszeitverordnung (AZVO). Die Bundesländer haben hierzu eigene Regelungen erlassen. Für die Bundeswehr gilt die Verordnung über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten (Soldatenarbeitszeitverordnung - SAZV).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 9. September 2021 in einem Vorabentscheidungsverfahren festgelegt, wie eine Pause mit Bereitschaftsregelung zu werten ist: Die Bereitschaftszeit ist entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzustufen. Der Begriff der „Bereitschaft“ umfasst hier sämtliche Zeiträume, in welchen die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht, um auf dessen Verlangen eine Arbeitsleistung zu erbringen.
Eine Ruhepause unter Bereithaltung ist als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in seiner Ruhepause so eingeschränkt ist, dass er in dieser nicht die Möglichkeit hat, seine Zeit frei zu gestalten und seinen eigenen Interessen nachzugehen. Hierzu muss eine Gesamtwürdigung der relevanten Umstände erfolgen. Diese Rechtsprechung des EuGH gilt auch für die Beamtinnen und Beamten, da diese im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG als Arbeitnehmer gelten.
Anknüpfend an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am 13. Oktober 2022 festgelegt (Rechtssache 2 C 7.21 und 2 C 24.21), dass Pausenzeiten unter einer Bereithaltungspflicht nicht automatisch als Arbeitszeit zu werten sind. Vielmehr ist hierbei eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Hierzu hat das BVerwG bestimmte Kriterien festgelegt, welche es zu berücksichtigen gilt:
In Konsequenz seiner oben genannten Rechtsprechung stellte das BVerwG fest, dass § 5 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 der Arbeitszeitverordnung, welche die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit beinhaltet, mit dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis von Arbeitszeit nach Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG nicht zu vereinbaren ist.
In einem aktuellen Rundschreiben vom 23.06.2023 (D2.30105/16#19) hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) auf diese Rechtsprechung des BVerwG reagiert und im Vorgriff auf eine Rechtsänderung der AZV den § 5 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 AZV für unanwendbar erklärt.
Es obliege den Dienststellen im Einzelfall zu bewerten, ob sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Beamten oder der Beamtin auferlegten Einschränkungen während der Pausenzeit von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine oder ihre Möglichkeiten beschränken, die Zeit frei zu gestalten.
Dabei seien die durch die Rechtsprechung aufgeführten Kriterien und Hinweise zur Gesamtwürdigung heranzuziehen.
ver.di kritisiert diese Herangehensweise. Wenn die Dienststellen selbst entscheiden, ob eine Beamtin oder ein Beamter seine Ruhepause frei gestalten kann oder nicht, führt dies zu Willkür und schafft keine Rechtssicherheit für die Kolleginnen und Kollegen. Eine Ruhepause muss immer eine Ruhepause sein und diese Beurteilung darf nicht die Dienststelle vornehmen. Wir benötigen hierfür eine eindeutige gesetzliche Regelung, welche die Beschäftigten schützt. Im Zweifelsfall muss nach aktueller Rechtslage eine Beamtin oder ein Beamter vor Gericht ziehen, welches dann überprüft, ob in einer Ruhepause die Zeit frei gestaltet werden kann oder nicht. Die Beschäftigten benötigen von vorneherein eine größere Rechtssicherheit.